Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kunstfreundinnen und Kunstfreunde, 

im Namen der Landeshauptstadt Wiesbaden begrüße ich Sie alle recht herzlich zum allerersten Internationalen Tag der Kunstfreiheit, dem „Freedom of Art Day“, der im Kunstraum „Labor Westend“ stattfindet. 

Anhand von Ausstellungen, Filmreihen und Podiumsdiskussionen soll auf die zunehmend prekäre und schwierige Situation, in der sich Künstlerinnen und Künstler in immer mehr Ländern und autoritären Regimen befinden, aufmerksam gemacht werden. Mit kritischen Künstlern tun sich autoritäre Regime schwer. Das war in Deutschland während des Nationalsozialismus und zu DDR-Zeiten so. Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler können aktuell in vielen Ländern nicht frei arbeiten. Weltweit sind Hunderte von Schriftstellern, Musikern und Filmemachern in Haft, spurlos verschwunden oder sogar getötet worden. Meist werden Künstlerinnen und Künstleraus politischen Gründen festgenommen. Die Vorwürfe, die gegen die Regimekritiker erhoben werden, erscheinen dabei willkürlich. Im Namen der Landeshauptstadt Wiesbaden bin ich deshalb dem Veranstalter des „Freedom of ArtDay“, Georg Schmitt, dankbar, dass er auf diese schwierige Situation der Kunstschaffenden weltweit hinweist. 

Ich wünsche allen Kunstfreundinnen und Kunstfreunden sowie den hoffentlich zahlreichen Gästen einen gelungenen Tag der Kunstfreiheit mit schönen Momenten, interessanten Gesprächen und erfüllenden Erlebnissen. Kunst macht nicht nur Freude, sondern auch Freunde, sie verbindet uns – weltweit und besonders im gemeinsamen Erleben. 

Herzlichst
Gert-Uwe Mende
Oberbürgermeister

DIE AKTUELLE SITUATION, IN DER SICH VIELE KÜNSTLERINNEN UND KÜNSTLER WELTWEIT BEFINDEN, IST BEÄNGSTIGEND. SIE SIND REPRESSIONEN AUSGESETZT, DIE IHRE ARBEIT UND IHR LEBEN BEDROHEN UND BEEINFLUSSEN. DIESE BEDROHLICHE LAGE FÜR DIE KUNSTFREIHEIT DURCH EINEN BESONDEREN TAG SICHTBAR WERDEN ZU LASSEN, IST EIN BESONDERES VORHABEN, DEM ICH GERNE MEINE UNTERSTÜTZUNG AUSSPRECHEN MÖCHTE. DUrCH EINE ENTSPRECHENDE AUSSTELLUNG, WIE SIE SIE MIR SKIZZIEREN, KANN NICHT NUR EINE ENTSPRECHENDE ÖFFENTLICHKEIT GESCHAFFEN WERDEN, SONDERN AUCH DER DISKURS UM POLITISCHE RAHMENBEDINGUNGEN FÜR KÜNSTLERISCHES SCHAFFEN WELTWEIT ANHAND KÜNSTLERISCHER ARTEFAKTE FORTGEFÜHRT WERDEN. 

ANGELA DORN VOM 26. JUNI 2022

EINEN INTERNATIONALEN TAG DER KUNSTFREIHEIT AUSZURUFEN UND ZU BEGEHEN, IST NICHT NUR EIN WICHTIGES SIGNAL AN KÜNSTLER:INNEN IN VIELEN TEILEN DER WELT, DIE WEGEN IHRER ARBEIT BEDROHT, VERFOLGT ODER BESTRAFT WERDEN, GAR UM IHR LEBEN BANGEN MÜSSEN. EIN SOLCHER TAG IST VIELMEHR AUCH EIN MAHNRUF AN DIE MENSCHEN HIER IN DEUTSCHLAND, WO DIE KUNSTFREIHEIT ZWAR IM GRUNDGESETZ (ART. 5.3) GARANTIERT IST, IN IHRER BEDEUTUNG JEDOCH INSGESAMT ZU WENIG BE- UND GEACHTET WIRD.  

DIESE GLEICHGÜLTIGKEIT ABER IST NICHT UNGEFÄHRLICH. DENN ES ERÖFFNET DIE MÖGLICHKEIT, DEN EHEDEM SEHR IDEALISTISCHEN BEGRIFF DER KUNSTFREIHEIT –AUSDRUCK DER ÜBERZEUGUNG, KUNST SEI MEHR ALS NUR EINE BELIEBIGE MEINUNGSÄUSSERUNG UND BEDÜRFE DAHER EINES BESONDEREN SCHUTZES – ZU INSTRUMENTALISIEREN, GAR ZU MISSBRAUCHEN. UND SEIT EINIGEN JAHREN IST DIES TATSÄCHLICH VERMEHRT ZU BEOBACHTEN.

GERADE WEIL VIELE KÜNSTLER:INNEN UND KUNSTINSTITUTIONEN SICH HEUTZUTAGE VERMEHRT DARUM BEMÜHEN, SENSIBEL FÜR ANLIEGEN VON MINDERHEITEN, JA INSGESAMT RÜCKSICHTSVOLL UND VERANTWORTLICH ZU AGIEREN, BEGEGNET IHNEN ZUNEHMEND DER VORWURF, NUR NOCH EINER ‚POLITICAL CORRECTNESS’ ZU FOLGEN. ANSTATT SIE ZU WÜRDIGEN, WEIL SIE SICH FÜR EINE GERECHTERE UND FREIERE WELT EINSETZEN, UNTERSTELLT MAN IHNEN, ANDERE GÄNGELN UND ÜBERWACHEN, SIE GAR ZENSIEREN UND UNTERDRÜCKEN ZU WOLLEN. VOR ALLEM RECHTSPOPULISTISCHE KREISE REKLAMIEREN DANN KUNSTFREIHEIT – UND SUGGERIEREN DABEI IMMER WIEDER, DIESE SEI GLEICHBEDEUTEND EINER LIZENZ ZU RÜCKSICHTSLOSIGKEIT.

JEDE KRITIK AN EINEM SEXISTISCHEN WERK, EINER AUSSTELLUNG MIT KOLONIALISTISCHEN TOPOI ODER EINEM AUFTRITT MIT BLACKFACING WIRD ALSO IN DIE TRADITION VON ZENSUR IN DIKTATUREN GESTELLT. DABEI GEHT ES DENEN, DIE NUN KUNSTFREIHEIT IN ANSPRUCH NEHMEN, KAUM EINMAL WIRKLICH UM DIE KUNST; SIE WOLLEN KEINE DEBATTEN ÜBER FORM- UND STILFRAGEN, UND SIE WÜRDEN AM LIEBSTEN IHRERSEITS SEHR VIEL KUNST VERBIETEN. KUNSTFREIHEIT WIRD SO ZUNEHMEND ZUM DECKBEGRIFF FÜR EINEN RECHTEN UND POPULISTISCHEN FREIHEITSBEGRIFF, DESSEN KERN DARIN BESTEHT, DASS MAN SICH VON NIEMANDEM EINSCHRÄNKEN LASSEN UND PUREM EGOISMUS FRÖNEN WILL. VOR DEM HINTERGRUND EINER LANGEN GESCHICHTE, IN DER DIE IDEE DER KUNSTFREIHEIT GEGEN STAATLICHE ZENSUR, GEGEN WILLKÜRMASSNAHMEN VON OBEN, ABER AUCH GEGEN POPULISTISCHE ANGRIFFE GERICHTET WAR UND DAZU DIENTE, DIE EMANZIPATORISCHEN UND LIBERALEN DIMENSIONEN VON KUNST ZU SCHÜTZEN, ERSCHEINT DIESE VERSCHIEBUNG DES BEGRIFFS ALS GERADEZU IRRWITZIG. DESHALB BRAUCHT ES DEN INTERNATIONALEN TAG DER KUNSTFREIHEIT. SICH AN IHM ZU VERGEGENWÄRTIGEN, WIE VIEL GEWALT UND ZENSUR KÜNSTLER:INNEN WELTWEIT AUSGESETZT SIND, HILFT DABEI, DEN URSPRÜNGLICHEN UND EIGENTLICHEN SINN DER IDEE VON KUNSTFREIHEIT NEU ZU BEGREIFEN. MÖGE DARAUS DIE KRAFT ERWACHSEN, SICH GEGEN MISSBRÄUCHLICHE INSTRUMENTALISIERUNGEN DIESER IDEE ERFOLGREICH ZU WEHREN! 

WOLFGANG ULLRICH

PROCLAIMING AND CELEBRATING AN INTERNATIONAL FREEDOM OF ART DAY IS NOT ONLY AN IMPORTANT SIGNAL TO ARTISTS IN MANY PARTS OF THE WORLD WHO ARE THREATENED, PERSECUTED OR PUNISHED FOR THEIR WORK, OR EVEN HAVE TO FEAR FOR THEIR LIVES. SUCH A DAY IS ALSO A REMINDER TO THE PEOPLE HERE IN GERMANY, WHERE FREEDOM OF THE ARTS IS GUARANTEED IN THE ‚GRUNDGESETZ’, BUT ITS IMPORTANCE IS NOT SUFFICIENTLY RESPECTED.

THIS INDIFFERENCE, HOWEVER, IS NOT WITHOUT DANGER. FOR IT OPENS UP THE POSSIBILITY OF INSTRUMENTALISING, EVEN ABUSING, THE FORMERLY VERY IDEALISTIC CONCEPT OF ARTISTIC FREEDOM - AN EXPRESSION OF THE CONVICTION THAT ART IS MORE THAN JUST AN ARBITRARY STATEMENT OF OPINION AND THEREFORE REQUIRES SPECIAL PROTECTION. AND FOR SOME YEARS NOW, THIS HAS INDEED BEEN INCREASINGLY THE CASE. 

PRECISELY BECAUSE MANY ARTISTS AND ART INSTITUTIONS ARE NOWADAYS MAKING MORE OF AN EFFORT TO BE SENSITIVE TO THE CONCERNS OF MINORITIES AND TO ACT IN A CONSIDERATE AND RESPONSIBLE MANNER, THEY ARE INCREASINGLY BEING ACCUSED OF ONLY FOLLOWING 'POLITICAL CORRECTNESS'. INSTEAD OF APPRECIATING THEM FOR WORKING FOR A FAIRER AND FREER WORLD, THEY ARE ACCUSED OF WANTING TO CONTROL AND MONITOR OTHERS, EVEN CENSOR AND SUPPRESS THEM. RIGHT-WING POPULISTS IN PARTICULAR THEN CLAIM ARTISTIC FREEDOM - AND REPEATEDLY SUGGEST THAT THIS IS TANTAMOUNT TO A LICENCE TO BE RUTHLESS.
ANY CRITICISM OF A SEXIST WORK, OF AN EXHIBITION WITH COLONIALIST TOPOI OR OF A PERFORMANCE WITH BLACKFACING IS THUS PLACED IN THE TRADITION OF CENSORSHIP IN DICTATORSHIPS. AT THE SAME TIME, THOSE WHO NOW CLAIM ARTISTIC FREEDOM ARE HARDLY EVER REALLY CONCERNED WITH ART; THEY DON'T WANT ANY DEBATES ABOUT QUESTIONS OF FORM AND STYLE, AND THEY WOULD PREFER TO BAN A GREAT DEAL OFART FOR THEIR PART. 

ART FREEDOM IS THUS INCREASINGLY BECOMING A COVER TERM FOR ARIGHT-WING AND POPULIST CONCEPT OF FREEDOM, THE CORE OF WHICH IS NOT TO BE RESTRICTED BY ANYONE AND TO INDULGE IN PURE EGOISM. AGAINST THE BACKGROUND OF ALONG HISTORY IN WHICH THE IDEA OF ARTISTIC FREEDOM WAS DIRECTED AGAINST STATE CENSORSHIP, AGAINST ARBITRARY MEASURES FROM ABOVE, BUT ALSO AGAINST POPULIST ATTACKS, AND SERVED TO PROTECT THE EMANCIPATORY AND LIBERAL DIMENSIONS OF ART, THIS SHIFT OF THE CONCEPT SEEMS DOWNRIGHT INSANE.

THAT IS WHY WE NEED THE INTERNATIONAL FREEDOM OF ART DAY. IT HELPS TO REALISE HOW MUCH VIOLENCE AND CENSORSHIP ARTISTS ARE SUBJECTED TO WORLDWIDE AND TO GRASP ANEW THE ORIGINAL AND ACTUAL MEANING OF THE IDEA OF ARTISTIC FREEDOM. MAY THIS GIVE US THE STRENGTH TO SUCCESSFULLY DEFEND OURSELVES AGAINST ABUSIVE INSTRUMENTALISATION OF THIS IDEA!

WOLFGANG ULLRICH